Warum Palo Alto blendet

The other day betrat ich einen Konferenzraum mit 40 Personen auf dem Waldhof in Mannheim. Der Stadtteil strahlte in den 80ern dank Klaus Schlappner und dem SV Waldhof in ganz Deutschland – und hatte was von St. Pauli – echt, eigen und mitten im Leben. Die Barracken auf dem Waldhof sind schon lange multi-kulti und hier gilt der Arbeiter als Held. Die angrenzenden Industriegebiete sind dann nur was für ganz harte Industrieromantiker und doch pulsiert hier die Wirtschaft.

In diesem Treffen sollte es um Innovation gehen – die neue Hauptmelodie auf Chefetagen und bei jungen Wilden in vielen Städten und Betrieben. „Wir müssen Innovation endlich ernst nehmen,“ so die Ansage. „Schaut nach Silicon Valley: ihre Fehlerkultur, ihren Wachstum. Davon müssen wir uns was abschneiden.“ Der Vorschlag, das Projekt Silicon Waldhof zu nennen wurde gerade so abgebogen.  („Was hawwä mir dann mit Silikohn zu duä?“) Und neben Ambitionen und ein paar Ideen für Sprints und Vernetzung war es das dann auch wieder.

Kommt mir so vor, dass wir etwas geblendet sind von Palo Alto. Etwas wie die Malediven – schön, wünschenswert und total weit weg. Und dazu noch unrealistisch für das normale Leben. Wenn unter der kalifornischen Palme etwas in einer Garage zusammengenagelt wird, dann ist das ewig weit weg von den Realitäten auf dem Waldhof – oder sonstwo in Deutschland. Zum einen haben wir unsere Anzahl an Tüftlern und Findigen – halt oft ohne die Egos und Glamour-Stories vom Valley. Zum anderen sind die meisten Organisationen auf Effizienz getrimmt. Da ist wenig Platz für Fehler, für Freizeit zum Suchen, für Moonshots.

Die Diskussion richtig lenken

Nicht, dass wir nicht mit offenen Augen im Kundenkontakt stehen sollten – oder unsere alten Zöpfe kämmen oder abschneiden sollten. Ein Hoch auf Innovation! Innovation ist die richtige Diskussion – wir müssen uns erneuern und ständig hinterfragen. Und es gibt allerhand zu lernen im Umgang mit Innovation.

Allerdings brauchen wir eine realistische Einschätzung, wo wir stehen und was uns hilft. Wird aus dem Waldhof der Durchbruch in Robotics kommen? Wird hier das Epizentrum des Machine Learning entstehen? Eher unwahrscheinlich – und schon gar nicht von bestehenden Organisationen. Wir haben gar nicht die Leute, die schon bei zig Firmen waren, die schon hier und da gegründet haben, die Fehler feiern. Unser Prägungspotenzial für echte Durchbrüche reicht nicht. Wenn mal wieder was Neues geschieht, dann nicht in Fabrikhallen, Meetingräumen oder Corporate Planungssessions; wenn schon dann in einer Garage unter dem waldhofer Nieselregen.

Wenn Palo Alto nicht das Ziel der Träume ist, wie gehen wir dann mit Innovation um? Es gibt einen Weg, der uns viel relevanter scheint.

Geoff Moore beschrieb vor 20 Jahren wie Innovation einer Normalverteilung folgt. Da gibt es die Draufgänger ganz vorne. Dann kommen die Frühen Folger und die Große Mehrheit. Später kommt die Späte Mehrheit und schließlich die Skeptiker.

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Mit der Zeit rutschen Firmen immer mehr nach hinten. In Firmen gibt es so viel zu tun, dass man keine Zeit für Experimente hat, und viel guter Wille schon abgenutzt wurde. Demnach ist man selten vorne dabei, mit offenen Augen durch die Welt zu laufen und schnell auf neue Pferde aufzuspringen. Allerding ist das die Diskussion, die wir brauchen – wie geben wir uns einen Ruck nach vorne? Nicht ganz vorne, aber weiter nach vorne in der Kurve. Es braucht einen Innovationsansatz, der auf schnellere Übernahme von erfolgreichen Neuerungen setzt. Es braucht einen Ansatz, das Portfolio von Ideen, Ansätzen und Technologien zu managen und Innovation darin eine stärkere Stimme zu geben.

Die Kernfrage: was kann unsere Organisation leisten?

So einen Ansatz liefert uns Geoff Moore. Er spricht seit Jahren über Innovation und Dynamiken in Industrien. Sein 1991 Bestseller „Crossing the Chasm“ wurde zum Standardwerk, wie Innovationen es in den Mainstream schaffen. 2015 beschrieb er nun mit „Zone to Win“ die andere Richtung. Wie schaffen es gewachsene Organisationen, Innovationen aufzunehmen?

Moore schlägt ein Zonen-Management vor. Jede Firma besteht auf vier Zonen, die gut gemanaget werden müssen. Zwei Zonen beschreiben das laufende Geschäft: Zone 1 und 2 sind für Wachstum und Effizienz da. Diese müssen Organisationen meistern, um profitabel zu sein. Dazu gibt es dann eine Zone 4 – das weite Feld an Experimenten. Hier sind die Silicon Valleys unterwegs. Organisationen tun gut daran, Geld für diese Zone bereit zu stellen. Wichtig ist hier, dass sie viel Freiheit haben – eigene Prozesse, Entscheidungswege, Zyklen etc. Und dann gibt es die Zone 3 – die Transformation. Wenn man zum Schluss kommt, dass eine Innovation den Markt verändert, dann geht es darum in der Zone 3 zu spielen. Dazu müssen ALLE Dinge in Zone 4 (dem weiten Feld) gestoppt werden (verkauft, verselbständigt, geschlossen) und nur EINE Sache in Zone 3 behandelt werden. Die Zonen 1 und 2 (das laufende Geschäft) müssen 10% Geld freischaufeln, um die Zone 3 zu ermöglichen.

Was Moore sagt: man muss ein Portfolio von Innovationskandidaten haben und dann entscheiden. Wenn es Zeit für Transformation ist, kann man nur auf EIN Pferd setzen. Dieses Pferd braucht Ressourcen, Zeit und anderes Management. Das ist Chef-Sache und muss richtig behandelt werden. Die Konsequenz: Transformation wird eine Kernaufgaben und die schwierigen Fragen in solchen Übergängen müssen gestellt und beantwortet werden.

Wir sind der Meinung, dass man sogar Zone 4 (das weite Feld) nicht selber machen muss. Man kann auch indirekt Erfahrung sammeln oder sich Wissen aneignen. Aber irgendwann muss man zum Schluss kommen, in welche Richtung man die Firma ändert. Und dann braucht es richtige Überzeugung. Es braucht die Veränderung am Design der Firma.

Firmen gestalten sich nach deren Hauptlogik. Für viele ist das die Effizienz: wenig Abweichung, viel Standardisierung, Hauptweg Skalierung und senken der Kosten. Das ist in bestehenden Feldern ideal. Für Transformation ist das allerdings ein großes Problem – weil diese nicht standardisiert ist, viel Lernkurven mit sich bringt, neue Kosten verursacht und eine andere Kultur braucht. Firmen müssen sich zum Meister in Adaptionsfähigkeit entwickeln. Organisationen müssen dafür drei Muskeln ausprägen:

1)      Priorisieren – Firmen brauchen einen guten Radar für das, was an Innovation passiert; einen Weg dies intern zu diskutieren und zu klaren Entscheidungen zu kommen.

2)      Standardisieren – Organisationen brauchen Klarheit und Routine, um Neuerungen einzuführen, wachsen zu lassen und möglichst einfach und direkt unterwegs zu sein.

3)      Beschleunigen – es braucht Unterstützung und Tools, um die Zeit in Lernkurven zu kürzen und Ressourcen an den richtigen Stellen einzusetzen.

Wir sehen die Notwendigkeit von Wandelbarkeit und Transformationsleistung in Unternehmen von heute. Das ist kein Zauber und muss nicht mit Halbwissen aus Artikeln oder Vorträgen gemacht werden. Damit rutschen sie auf der Innovationskurve deutlich nach vorne. Wenn Organisationen neben der Effizienz die Wandelgeschwindigkeit als Merkmal haben, können sie die Vorteile von Silicon Valley für sich nutzen ohne die hohen Kosten des Experimentierens in ganz neuen Feldern zu haben.

Das Beispiel Microsoft

Schauen wir uns mal an, wie das geht. Microsoft folgte eigentlich schon immer dieser Logik. Sie waren nie die Erfinder. Bill Gates war ein wacher Kollege, der schnell sah, was den Unterschied machte. Viele nennen Microsoft den Inbegriff eines „Fast Followers“. Windows wurde von Xerox Parc und Apple abgeschaut, die Maus auch. Excel folgte auf Lotus 1-2-3. Und wo wurde Microsoft zum König der PC-Revolution.

Das ging lange gut – bis die Welt sich änderte. PCs und Server wurden von der Cloud und Tablets abgelöst. Das Geschäftsmodell stand in Frage und andere Firmen wie Google, Amazon und Apple lagen dort weit vorne. Microsoft wurde immer unrelevanter und ihnen drohte das gleiche Schicksal wie anderen Ex-Königen (Nokia, Palm, Motorola, Yahoo etc). Als Satya Nadella vor 5 Jahren Chef von Microsoft wurde, sagte er folgendes:

„Ich würde für eine erfolgreiche Firma immer überbetonen wie wichtig Kultur. Mit der richtigen Kultur ermöglicht man die richtigen Konzepte und passenden Fähigkeiten.“

Seine Ansage: eine Organisation braucht gute Wandelfähigkeit. Erfolg von gestern kann dir dein Morgen rauben. Als Denkpartner fand Nadella die Psychologin Carol Dweck. Diese bringt der Welt die Wichtigkeit des „Growth Mindsets“ bei. Sie forschte bei Kindern, warum manche an Hindernissen wachsen während andere davor zurückschrecken. Es ist der Mindset: fixe oder wachsende Grundhaltung. Die Kinder mit Growth Mindset dachten, sie können an der Herausforderung wachsen. Die Kinder mit Fixed Mindset sahen diesen als Gefahr für ihr Selbstverständnis und Glück.

Nadella nahm das und brachte es Microsoft bei. Wir müssen nicht unser Territorium verteidigen und uns an unseren Erfolg von gestern klammern. Wir brauchen die Haltung, an Herausforderungen zu wachsen. Er nannte seine Prioritäten: Cloud, Augmented Reality und Quantum Computing. Hier war Microsoft nicht vorne. Aber sie stürzten sich rein – mit neuer Kultur und einer Ansage an Wandelbarkeit. Resultat? Läuft ganz gut bei denen die letzte Zeit.

Microsoft hat sich auf seine Wurzeln zurückbesonnen: wache Augen, schnell folgen und dann mit Vehemenz hinterher sein. Und sie haben ihren Weg verändert: nicht mehr PC, Server und Abgrenzung. Mit der dieser Attitüde braucht man nicht den Durchbruch in der Garage, um Innovation für seine Kunden arbeiten zu lassen. Microsoft zeigt den Weg, was Anpassungsfähigkeit und die richtige Kultur bewirken.

Eine knackige Alternative: auf schnelle Imitation getrimmt

Das Feuerwerk an Innovation aus Palo Alto werden wir bei uns so nicht nutzen können. Das ist also ob man versucht, die Malediven in Mannheim zu realisieren. Vielleicht kann die Ambition was bewirken, aber so richtig wird das nichts werden. Muss es auch nicht. Wie die Geschichte zeigt, sind es nicht die ganz weit vorne, die den besten Lauf hatten.

Die Siedler auf dem Weg in den amerikanischen Westen hatten vor 150 Jahren genau das erlebt. Wer als Pionier aus den Kolonien in den Westen zog unterlag einer Scheiterrate von 47%. Fast die Hälfte der Erstpioniere schaffte es nicht. Wer ein paar Jahre danach loszog, war mit 8% scheitern viel besser dran. Followers leben viel erfolgswahrscheinlicher.

Und die großen Namen aus Silicon Valley waren oft nicht die ersten. Google war die 18. Suchmaschine, Facebook die 21. Soziale Netzwerk und Microsoft mit Windows das 21. Graphical User Interface. Elektroautos gab es schon 120 Jahre vor Tesla, Mobiltelefone 30 Jahre vor dem iPhone. Wie Star-Investor Peter Thiel sagt

„Obwohl wir auch mal in einem Markt ganz vorne mit dabei sind, mögen wir es am liebsten wenn andere die ersten Schritte machen und Dinge zum Laufen bringen.“

Follower sind besser dran als die ganz harten Pioniere. First Mover zu sein hat einen hohen Preis. Die Angst, etwas zu verpassen ist immer da und wird dennoch oft auch überbewertet.

Was ist also der Weg? Wir brauchen Organisationen, die sich schnell anpassen können. Adaptionsfähigkeit ist das Zauberwort. Wenn eine Idee sich beweist, dann mit Schmackes hinterher. Dann alle Ressourcen darauf, dort gut zu werden und diese Neuerung für sich nutzbar zu machen. So wie Daimler gerade mit ihrer Ansage zu E-Mobilität. Die Garage von Palo Alto ist nicht unser Ideal. Was wir brauchen sind gute Beobachtung und dann Organisationen, die sich wandeln können. Klare Entscheidung zur Transformation und Meisterwissen in den Übergängen wird uns weiterbringen als die nächste Person mit Rollkragenpulli und Jeans. Nimm das Gute und renn!






Marlin Watling führte als Personalleiter zahlreiche Personalsysteme ein und leitete in seinen 15 Jahren in Konzernen in Management-Teams Diskussionen zu Effektivität, Alignment und Prioritäten. Heute berät er Unternehmen zu Transformations-Themen und hat über die wirkungsvollsten Tools aus der Ecke von Startups hier geschrieben.