Fokusprojekte - eine neue Disziplin im Organisations-Jungle

#tldr - Projekte in Organisation sind kompliziert. Hektischer Stillstand herrscht vielerorts. Fokusprojekte sind eine Antwort darauf. Kurze Zyklen (6 Wochen), weniger Mitarbeiter (3 insgesamt) und Verantwortung ins Team. Drei Prinzipien treiben das: start by stopping, constantly simplify, organize for momentum. Dieser Aritkel zeigt die Logik und Anwendung. Enjoy. Viva la simplification! 

Die Konfusion in Konzernen

Viele Organisationen drehen am Rad. Es gibt so viele Ideen und so wenig gefühlten Fortschritt - vor allem in großen Unternehmen. Von Organigramm zu Matrix zu Projekten hin zu Squads und Tribes. “Wir erfinden beständig neue Wege, wie man an was arbeiten kann,” so kürzlich ein Vice President eines Automobilherstellers auf einer internen Diskussion, “aber wir beenden damit nicht das alte Vorgehen. Alles passiert gleichzeitig - und wir überlassen es den Leuten, sich damit zurechtzufinden. Kein Wunder, dass da oft mal Konfusion herrscht.”

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Die Ebenen sind so vielschichtig heutzutage, dass es kaum ein Wunder ist, dass ein erfolgreiches Projekt fast ein Wunder ist. Der Startpunkt liegt im Organigramm: wer ist mein Chef? Dann die Matrix: mit wem müssen wir zusammenarbeiten? Projekte: was müssen wir in zeitlichem Rahmen liefern? Squads und Tribes: wie können wir agil und vernetzt arbeiten? Und dann noch ein wilder Mix von Ideen aus allen Himmelsrichtung: Lean, OKRs, Remote Work etc. 


Funktioniert hier was trotz der Organisation, oder wegen? 

Zu viel interne Komplexität - dürfte die Diagnose für viele heutige Organisation sein. Studien zeigen schon länger, dass Organisationen mit zunehmender Größe Effektivität einbüßen. Wer wächst muss immer mehr Aspekte koordinieren, und darin liegen Reibungsverluste. Der Reflex in vielen Organisationen ist, Schwächen durch neue Leitideen aufzufangen. Ob Qualität oder Geschwindigkeit, Eigenverantwortung oder Effektivität - jede Idee und damit verbundene Praktik wird auf den alten Teppich gelegt. Und damit wird die Arbeitsorganisation vielschichtig, komplex und oft träge. 

Bemerkbar macht sich das Problem oft an zwei Fragen: Entscheidungen und Ressourcenplanung. Entscheidungen sind oft so zerstückelt, dass es seltene Diplomatentalente braucht, sich Entscheidungen ewig hinziehen oder über politisch-eskalierende Wege zu Ergebnissen kommt. Ressourcen sind auch so ein Thema. Selbst für Linienmanager herrscht oft wenig Durchsicht, wer welche Kapazitäten hat und Mitarbeitenden müssen viel “on top” erledigen. “Hektischer Stillstand” trifft das Feeling auf vielen Fluren - mit viel Einsatz wird erstaunlich wenig bewegt. Eine unterliegende Unzufriedenheit mit der Arbeitsorganisation wird vielerorts gefühlt. 


Introducing: Fokusprojekte

Wir präsentieren hier einen Ansatz für Projektarbeit, der diese Verkeilung auflöst. Bevor wir ins Details gehen, zuvor drei Prinzipien. Ausrichtung beginnt oft mit einem klaren Rahmen - und hier sind unsere 3 Leitgedanken dazu:

  • start by stopping: wenn zu viel los ist, dann hilft es wenig, nochmal 10% zu fordern und den Willensmuskel vollends auszureizen. In vielen Fällen führt der Königsweg über Reduktion. Was können wir beenden, das uns nicht wirklich hilft?

  • constantly simplify: einfaches Vorgehen ist immer zu bevorzugen. Wenige Regeln sind besser als viele; was man sich merken kann, ist besser als komplexe Anweisungen. Vereinfachung ist eine mentale Disziplin und Entscheidung, die das Arbeiten später vereinfacht. 

  • organize for momentum: der Schwung einer Organisation ist ein hohes Gut. Mein Teenager-Sohn hat ein T-Shirt vom 1. Newtonschen Gesetz: “ein Körper in Ruhe bleibt in Ruhe.” Genauso: ein Körper in Bewegung bleibt in Bewegung. Oftmals sind die Probleme in Organisation nicht das Problem selbst sondern der Mangel an Bewegung und Fortschritt. 


Mit diesen Leitgedanken widmen wir uns nun der Projektarbeit. Fokusprojekte funktionieren so: ein Auftraggeber beschreibt ein Problem und eine Lösungsabsicht. Fokusprojekte bekommen einen klaren Rahmen: 3 Personen arbeiten am Projekt und bekommen 6 Wochen Zeit. Mit dem Auftrag erarbeiten sie sich in den 6 Wochen ihre wichtigsten Themen und bearbeiten sie in 20+% ihrer vollen Arbeitszeit. Ein Projekt-Mentor aus den Reihen der Auftraggeber steht zur Rücksprache bereit und hilft bei Problemen oder Hindernissen. Werden in 6 Wochen nicht alle Themen bearbeitet, entscheidet das Team selbst, was Priorität ist, was abgegeben wird und was nicht. Am Ende wird ein 2-3 seitiger Bericht mit Empfehlungen vorgelegt. 6 Wochen sind 6 Wochen. Das Projekt ist dann vorbei und keine Todos werden durch die Organisation geschleppt. 

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Damit stellt sich das Projekt-Dreieck von Inhalt, Zeit und Kosten klar auf. Zeit und Kosten sind fix, Inhalt kann variieren. Durch die 6-Wochen-Frist braucht es wenig Planung von Meilensteinen, Abhängigkeiten, Risiken oder Ressourcenbedarfen. Nach 6 Wochen gibt es Ergebnisse, somit entstehen Bewegung und Signale an die Organisation. Neue Erkenntnisse oder Änderungen in der Umwelt werden direkt in neue Zyklen mit eingeflochten. 



Fokusprojekte in Aktion

Zwei unserer Fällen zeigen wie Fokusprojekte in echt funktionieren. In einer globalen Organisation fanden wir eine unglaubliche Fülle an Tools, Projekten und Ansprüchen vor. In einem Bereich gab es über 50 Projekte (über Abteilungsgrenzen verteilt) am Jahresanfang und die Besprechung im Führungsteam hat versucht, diese zu priorisieren. In der Diskussion konnte man sich von 2 Projekten verabschieden, 4 schieben und 5 neue wurden aufgenommen. Typischerweise liefen Projekte zwischen 9 und 18 Monaten und Projektteams waren zwischen 8 und 25(!) Personen groß. Es kam öfter vor, dass eine Person an 15 Projekten beteiligt war. 

Wir führten Fokusprojekte als Parallelstrang zu klassischen Projekten ein (Kompromisse braucht es immer, um voran zu kommen). Mit dem klaren Rahmen und Software und Training rollten die Fokusprojekte los. Die größten Änderungen waren die Kultur und Erwartungen: Dürfen wir wirklich entscheiden? Worauf sollen wir uns fokussieren? Wie schaffen wir schnellen Fortschritt? 

Der Erfolg lag in den greifbaren Ergebnissen nach 6 Wochen. Projektmitarbeiter strengten sich, um zu liefern und die wichtigsten Themen wurden priorisiert. Die Ergebnisse nach 6 Wochen ließen sich kommunizieren und so war es leichter, der Organisation zu zeigen, was sich bewegte und wie weit man war. 

In einer kleineren Organisation von knapp über hundert Personen gab es zahlreiche Projekte. Allerdings gab es überhaupt keinen Überblick, was lief. Auch sind viele Projekte im Sand verlaufen - man hörte nie mehr was davon, ob sie abgeschlossen waren oder nicht. Es gab ein 80-seitiges Handbuch für Projektmanagement, das aber kaum bekannt war in der Organisation. Gleichzeitig wurden fast jede Woche Projekte identifiziert und das Führungsteam war vor der Herausforderung, welche Projekte Priorität bekommen sollten. 

Die Fokusprojekte schlossen zahlreiche Schwachstellen in der Organisation. Die zeitige Bearbeitung gab die wichtigen Signale ins Unternehmen, dass Dinge abgearbeitet werden und zu einem Abschluss kommen. Der Überblick war leichter zu behalten und auch hier zog es kulturellen Änderungen nach sich. Mehr Fokus auf Ergebnisse, bessere Freistellung für Projekte und klarere Aufträge. 


Fokusprojekte als Fortschritt

In unserer schnelllebigen Welt müssen Organisation auf die Komplexität der Umwelt reagieren. Ob Änderungen im Kundenverhalten, neuer Wettbewerb, globale Krisen oder neue Regulierungen - vieles muss antizipiert und in die Abläufe einbezogen werden. Wie können diese Änderungen mit der notwendigen Geschwindigkeit bearbeitet werden? Der Schlüssel liegt in Einfachheit und Fokus. Wenn das Umfeld komplexe Signale sendet, muss die interne Organisation klar und griffig sein. 

Ein Schlüssel liegt in den Fokusprojekten. Wir stellen dafür drei Kriterien in den Raum: start by stopping, constantly simplify und organize for momentum. In Fokusprojekten schlägt sich das durch einen simplen Rahmen nieder: 6 Wochen zeitlicher Rahmen, 3 Personen im Projekt, Eigenverantwortung im Projektteam, einfache Beauftragung und Steuerung. Damit fokussiert sich zumindest der Projektanteil der Organisation und bringt Fortschritt ins Umfeld. Mit der gewonnen Energie lassen sich dann auch andere Bereiche aufräumen.



Marlin Watling ist Partner bei Lumen und war 15 Jahre als Personalleiter in Unternehmen unterwegs. Er hat über 200 Change-Projekte begleitet und setzt sich dieser Tage für die Nutzung von künstlicher Intelligenz in der Praxis ein.