Mitgefühl in der Führung: Was neurowissenschaftliche Studien über Compassion-Trainings zeigen.

 
 

Wie eine gezielte mentale Praxis Empathie, Entscheidungsverhalten und neuronale Aktivität beeinflusst – und was das für Führungskräfte bedeutet

 
 

In einem zunehmend komplexen und von Unsicherheit geprägten wirtschaftlichen Umfeld sind Führungskräfte nicht nur strategische Entscheider, sondern auch emotionale Bezugspunkte. Sie sollen Orientierung geben, Resilienz fördern und psychologische Sicherheit ermöglichen – ohne dabei selbst auszubrennen. In diesem Spannungsfeld gewinnt eine Fähigkeit zunehmend an Bedeutung: Compassion – ein mitfühlendes, gleichzeitig klares und handlungsorientiertes Interesse am Wohlergehen anderer.

Dass Mitgefühl kein bloßes Ideal ist, sondern ein trainierbarer psychoneuronaler Zustand, zeigt eine neurowissenschaftliche Studie der University of Colorado (Ashar et al., 2021). Sie belegt eindrucksvoll: Compassion lässt sich entwickeln – mit messbarem Effekt auf Verhalten, emotionale Haltung und Hirnfunktion. Die Ergebnisse sind auch für Organisationen von hoher Relevanz.

 

Die Studie: Mitgefühl messbar machen

In einer randomisierten Interventionsstudie wurden Teilnehmende über vier Wochen hinweg in drei Gruppen eingeteilt:

  • Compassion Meditation (CM): tägliche geführte Mitgefühlsmeditation mit gezielter kognitiver und emotionaler Aktivierung.

  • Placebo-Gruppe: täglich ein vermeintliches Oxytocin-Nasenspray, verbunden mit dem Hören von Biografien leidender Menschen.

  • Familiarity-Gruppe: ebenfalls tägliches Hören emotionaler Geschichten, aber ohne mentale Intervention.

Alle Teilnehmer:innen hörten sowohl vor als auch nach der Intervention 24 kurze Biografien leidender Menschen (z. B. obdachlose Veteranen, krebskranke Erwachsene) – begleitet von realen Bildern und aufgenommen im fMRT. Die Wirkung wurde auf drei Ebenen gemessen:

  • emotional-kognitiv (u. a. Schuldzuschreibung, Nähe, Ähnlichkeit),

  • Verhalten (Spendenentscheidungen),

  • neuronale Aktivität (insbesondere im medialen orbitofrontalen Kortex).

 

Die Intervention im Überblick: 4 Wochen Compassion Training

Die Compassion-Gruppe praktizierte täglich ca. 20 Minuten geführte Meditation über eine App. Der Fokus wechselte wöchentlich, blieb jedoch stets eingebettet in die Grundhaltung „soft front – strong back“, also die Verbindung von empathischer Offenheit mit innerer Stabilität.

 

Compassion Meditation: 4-Wochen-Übungsplan

Diese Übungen zielen nicht auf Entspannung, sondern auf eine präsente, mitfühlende Haltung, die auch in herausfordernden Situationen Bestand hat.

 

Die Ergebnisse: Compassion verändert Verhalten, Haltung und Gehirn

1. Stabiles prosoziales Verhalten

Nur in der Compassion-Gruppe blieb die Spendenbereitschaft gegenüber leidenden Personen stabil – in den Kontrollgruppen hingegen sank sie signifikant. Das zeigt: Reine Exposition gegenüber Leid (z. B. in sozialen oder beratenden Berufen) kann zu Abstumpfung führen. Mitgefühlspraxis wirkt dem entgegen.

2. Veränderte emotionale Bewertungen

Die Teilnehmenden der CM-Gruppe empfanden mehr Nähe, weniger Schuldzuschreibungen und stärkere Ähnlichkeit zur jeweiligen Person. Die sogenannte FAS-Skala (Feeling–Attribution–Similarity) zeigte eine direkte Verbindung zwischen innerer Haltung und tatsächlichem Verhalten.

3. Neuronale Aktivierung

Nur in der Compassion-Gruppe wurde eine erhöhte Aktivierung im medialen orbitofrontalen Kortex (mOFC) beobachtet – einer Hirnregion, die mit Empathie, Motivationsverarbeitung und moralischer Bewertung verbunden ist. Dies weist darauf hin, dass Compassion nicht nur psychologisch, sondern auch neurophysiologisch wirksam ist.

 

Search Inside Yourself: Globale Daten bestätigen die Wirkung

Die Ergebnisse dieser Einzelfallstudie decken sich mit Daten aus über 15.000 Evaluierungen des Programms Search Inside Yourself (SIY) – einem weltweit eingesetzten Training, das auf Achtsamkeit, Selbstwahrnehmung, emotionale Intelligenz und Mitgefühl zielt.

Teilnehmende weltweit berichten nach dem Training systematisch über:

  • verbesserte Fähigkeit zur Selbstregulation,

  • mehr emotionale Präsenz und Klarheit,

  • nachhaltigere Konfliktfähigkeit und Beziehungsqualität,

  • größeres Vertrauen in Teams und Führung,

  • konkrete Veränderungen im Führungsverhalten.

Diese Effekte zeigen sich unabhängig von Kultur, Branche oder Hierarchieebene – sie entstehen durch das Zusammenspiel von Achtsamkeit, emotionaler Selbstklärung und systematischer Mitgefühlsentwicklung.

 

Compassion und Psychologische Sicherheit – ein systemischer Zusammenhang

Psychologische Sicherheit, ein Schlüsselkonzept moderner Führung, entsteht dort, wo Menschen sich zeigen dürfen – auch mit Unsicherheiten, Zweifeln oder Fehlern – ohne Angst vor Gesichtsverlust oder Sanktion.

Eine wesentliche Voraussetzung dafür ist die Haltung der Führungskraft in schwierigen Momenten. Ob jemand urteilt oder zuwendet, ob jemand emotionale Stabilität oder Reaktivität ausstrahlt, entscheidet oft darüber, ob sich Teams öffnen oder zurückziehen.

Compassion schafft genau diese Basis:

  • Sie stärkt die Fähigkeit, wahrzunehmen ohne zu bewerten.

  • Sie ermöglicht es, klare Verantwortung zu übernehmen, ohne Schuld zuzuweisen.

  • Sie schafft eine Kultur, in der Beziehung und Struktur nicht im Widerspruch stehen, sondern sich gegenseitig ergänzen.

Die oben beschriebene Aktivierung des orbitofrontalen Kortex legt nahe: Compassion aktiviert neuronale Netzwerke, die mit zwischenmenschlichem Vertrauen, Integrität und Bewertung sozialer Bedeutung verknüpft sind. Genau das braucht es, um sichere Räume für Lernen und Entwicklung zu schaffen.

 

Praktische Implikationen für Unternehmen und Führung

Die wissenschaftlichen Erkenntnisse lassen sich direkt in den Führungsalltag übersetzen:

1. Mitgefühl ist trainierbar – auch digital

Die Studienintervention wurde rein digital durchgeführt. Das belegt: Auch über Distanzen und in hybriden Kontexten lassen sich innere Haltungen wirksam entwickeln – sofern die Formate gut strukturiert und tiefenpsychologisch fundiert sind.

2. Verhalten folgt inneren Bewertungen

Unsere Entscheidungen im Kontakt mit anderen beruhen auf automatischen Bewertungen: Nähe oder Distanz, Schuld oder Verständnis. Compassion-Training verändert diese „inneren Filter“ – mit Wirkung auf Kommunikation, Feedbackkultur und Entscheidungsverhalten.

3. Compassion schützt vor innerem Rückzug

In Bereichen mit hoher Belastung (Führung, HR, Pflege, Sozialarbeit, Vertrieb) schützt Compassion vor innerer Abstumpfung. Es funktioniert wie ein emotionales Immunsystem – Präsenz ohne Erschöpfung.

4. Klarheit und Mitgefühl schließen sich nicht aus

Im Gegenteil: Gute Führung vereint klare Rollengrenzen mit menschlicher Zugewandtheit. Das schafft Vertrauen und ermöglicht echte Veränderung.

 

Mitgefühl: Eine Schlüsselkompetenz für Führungskräfte

Mitgefühl ist kein Soft-Skill mehr, sondern in Zeiten von Künstlicher Intelligenz ein “harter Skill”, denn Mitgefühl schafft die Voraussetzung für Hochleistung in komplexen, sozialen Systemen.

Die Studienlage zeigt: Compassion wirkt – auf Verhalten, Haltung und Gehirn. Und sie ist trainierbar, effizient und skalierbar.

Unsere Programme wie Search Inside Yourself liefern den empirischen Rahmen, um Compassion in der Führung zu etablieren – nicht als Ideal, sondern als gelebte Praxis.

 

Sie möchten Mitgefühl als Führungsqualität in Ihrer Organisation stärken?

Ob als Bestandteil von Leadership-Programmen, als Training zur Förderung psychologischer Sicherheit oder zur Resilienz-Entwicklung:


 

Empfohlene Studien und Literatur

Wissenschaftliche Studien

  • Ashar et al. (2021):
    Effects of Compassion Meditation on Brain Function and Prosocial Behavior
    Eine zentrale fMRT-Studie zur Wirkung von Mitgefühlsmeditation auf Spendenverhalten, emotionale Bewertung und neuronale Aktivität. Besonders relevant für Führungskräfte, da sie zeigt, wie Compassion kognitiv, emotional und neurologisch wirksam wird. [Veröffentlichung: Social Cognitive and Affective Neuroscience]

  • Klimecki et al. (2014):
    Differential pattern of functional brain plasticity after compassion and empathy training
    Diese Studie zeigt den Unterschied zwischen Empathie und Mitgefühl auf neuronaler Ebene und belegt, dass Mitgefühlstrainings vor emotionalem Überwältigtsein schützen können.

  • Singer & Engert (2019):
    Compassion as a trainable skill – Evidence from the ReSource Project
    Langzeitstudie aus Deutschland, die belegt, wie gezieltes Mitgefühlstraining Stress senkt, Resilienz stärkt und soziale Verbundenheit fördert.

Praxisnahe Literatur

  • Daniel Goleman & Richard Davidson (2017):
    Altered Traits – Science Reveals How Meditation Changes Your Mind, Brain, and Body
    Umfassender Überblick über die Langzeitwirkung von Achtsamkeit und Mitgefühl auf Gehirn und Verhalten. Enthält viele Bezüge zu Search Inside Yourself.

  • Roshi Joan Halifax (2018):
    Standing at the Edge – Finding Freedom Where Fear and Courage Meet
    Führende Quelle für die Haltung „soft front, strong back“ – insbesondere relevant für Führungskräfte im Grenzbereich zwischen Verantwortung und Menschlichkeit.

  • Amy Edmondson (2019):
    The Fearless Organization – Creating Psychological Safety in the Workplace for Learning, Innovation, and Growth
    Standardwerk zur Psychologischen Sicherheit – und wie mitfühlende, klare Führung sie unterstützt.

 

 
 
 

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Klaus Motoki Tonn
Integratives Coaching | EMDR | IFS | Führung & innere Klarheit

• Search Inside Yourself Instructor und Teil des Ausbilder-Teams
• Stressbewältigungstrainer und Resilienztrainer nach §20 V SGB
• Fortbildungen Kuntstherpapie (Art Therapy) an der University of Hertfordshire 
• Logotherapie Ausbildung Elisabeth Lukas Archiv (laufend)
• Zertifizierter Time to Think Facilitator und Coach 
• EMDR Ausbildung EMDR Ausbildungsintitut
• EMDR und ISF (Internal Family System) Fortbildung bei Dr. Kendhal Hart
• NET Narrative Exposure Therapy Ausbildung, NET-Institute
• PITT – Psychodynamisch Imaginative Traumatherapie, Prof. Dr. Luise Reddemann

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